Interview mit Justizsenatorin Dr. Badenberg

Frau Dr. Felor Badenberg ist seit April 2023 Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz in Berlin. Sie ist parteilos und wurde auf Vorschlag der Berliner CDU als Senatorin benannt. Zuvor war sie Vizepräsidentin des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Wir haben sie zu ihrem Wechsel in das neue Amt, den Herausforderungen der Berliner Justiz und ihrer Einstellung unter anderem zur Digitalisierung, Nachwuchsgewinnung, Besoldung und der Zusammenarbeit mit Brandenburg gefragt.

Frau Senatorin Dr. Badenberg, war es für Sie eine große Umstellung vom Bundesamt für Verfassungsschutz in eine Berliner Senatsverwaltung zu wechseln?

Ich habe 17 Jahre für den Verfassungsschutz gearbeitet und dort immer die Herausforderung gesucht. Wenn es galt, etwas Neues aufzubauen oder weiterzuentwickeln habe oft ich die Aufgabe übernommen. Als der Ruf nach Berlin kam, habe ich das als fachliche und persönliche Herausforderung gesehen. Die größte Umstellung ist sicherlich der Perspektivwechsel von der operativen auf die politische Ebene. Hier habe ich in den letzten Monaten viel gelernt. Dabei empfinde ich meine bisherige Erfahrung als großen Mehrwert für meine neue Aufgabe.

Was sind Ihrer Ansicht nach die größten Herausforderungen, denen sich die Berliner Justiz stellen muss? Wie werden Sie diese angehen und welche neuen Schwerpunkte werden Sie gegenüber Ihrer Vorgängerin setzen?

Die Justiz in Berlin hat in den letzten Jahren sicherlich nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die sie benötigt und verdient. In den ersten Monaten meiner Amtszeit konnte ich mir einen guten Überblick über die Lage der Justiz verschaffen und mich mit meinem Haus vertraut machen. Dabei konnte ich verschiedene Herausforderungen und Bedarf an Optimierung feststellen. Die Amtszeit ist jedoch wegen der Wiederholungswahl kurz, weshalb ich klare Schwerpunkte gesetzt habe.

Zu den zentralen strukturellen Herausforderungen der Justiz gehören eine angespannte Personalsituation, ein Sanierungsstau bei den Liegenschaften und natürlich die Digitalisierung. Dazu hat die Politik der letzten Jahre sicherlich beigetragen. Mein Ziel ist es, die Justiz zunächst zu modernisieren und zu digitalisieren, um für die zukünftigen Herausforderungen gerüstet zu sein und als Arbeitgeber an Attraktivität zu gewinnen. Die Einführung der E-Akte in Justiz und Verwaltung sowie zeitgemäße Liegenschaften sind dabei von zentraler Bedeutung.

Darüber hinaus setze ich mich nachdrücklich für die wirksame Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und der Clankriminalität ein, ein Anliegen, das die Bürgerinnen und Bürger Berlins bereits seit geraumer Zeit beschäftigt. Mein Ansatz besteht darin, den kriminellen Strukturen das Geld und die Spielzeuge zu entziehen. Dieser Ansatz trifft sie besonders hart.

Ein Herzensanliegen ist mir auch die Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie der Kampf gegen Extremismus. Angesichts der aktuellen Entwicklungen gewinnt dieses Thema zunehmend an Bedeutung. In der Justiz darf es keinen Raum für Extremisten geben - hierfür werde ich mich einsetzen.

Im Bereich Verbraucherschutz liegt mein Fokus insbesondere auf der Thematik der Lebensmittelverschwendung. Mein Ziel ist es, Lebensmittelabfälle zu reduzieren und gleichzeitig Lebensmittelspenden zu erhöhen.

Unserer Ansicht nach ist die Nachwuchsgewinnung eines der größten Probleme. Wie viele Bewerberinnen und Bewerber melden sich auf ausgeschriebene Stellen und wie viele sind davon für die Aufgaben der Berliner Justiz qualifiziert?

Die Nachwuchsgewinnung ist aufgrund der angespannten Personalsituation und des demografischen Wandels eine große Herausforderung und wird in den nächsten Jahren noch an Bedeutung gewinnen. Einer meiner Schwerpunkte ist es, die Berufe in der Berliner Justiz attraktiver zu machen und so talentierte Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Dazu müssen wir die Modernisierung und Digitalisierung in der gesamten Justiz vorantreiben, moderne Personalentwicklungskonzepte umsetzen und Anreize - wie eine angemessene Bezahlung und ein positives Arbeitsumfeld - schaffen.

Die Justiz ist ein vielfältiger Bereich, der über die richterlichen Berufe hinausgeht. Die Bewerberzahlen sind daher differenziert nach den einzelnen Berufsgruppen zu betrachten. Die Berliner Justiz ist für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte nach wie vor attraktiv. Hier konnten bisher alle Stellen mit guten Bewerberinnen und Bewerbern besetzt werden. Gleichwohl müssen wir stets daran arbeiten, attraktiver zu werden und uns als Arbeitgeber weiterentwickeln. Auch der Beruf des Justizhauptwachtmeisters erfreut sich großer Beliebtheit, was sich in den Bewerberzahlen widerspiegelt. Anders sieht die Nachfrage für den allgemeinen Justizdienst oder auch für den Bereich der Rechtspfleger aus. Hier ist die Bewerberlage angespannt. Hoffnungsvoll stimmen allerdings die in diesem Jahr gestiegenen Bewerberzahlen im Bereich der Rechtspflege. Dies zeigt, dass der eingeschlagene Weg der gezielten Akquise, der Beschleunigung der Auswahl- und Einstellungsverfahren richtig ist. Auch die Nachwuchskampagne für die Ausbildung im Allgemeinen (Justiz)Vollzugsdienst war erfolgreich, sodass wir sieben Bewerbungen pro zu vergebendem Ausbildungsplatz hatten und alle Ausbildungsgänge voll besetzen konnten.

Trotz einiger positiver Entwicklungen bleibt die Stärkung der Attraktivität der Berufe in der Justiz eine fortlaufende Aufgabe.

Berlin hat in den letzten Jahren die Einstellungsvoraussetzungen immer weiter gesenkt, während die Examensnoten der Absolventen immer weiter steigen. Werden Sie den Trend fortsetzen und die Anforderungen noch weiter absenken?

Ich plane das aktuell nicht. Allerdings sehe ich auch die Entwicklungen in den anderen Bundesländern und die Diskussionen im Geschäftsbereich. Mein Ziel ist es, durch attraktive Bedingungen so viele gute Nachwuchskräfte anzusprechen, dass sich die Diskussion erübrigt.

Sie sprachen die IT-Ausstattung der Justiz an. Schafft Berlin die flächendeckende Einführung der E-Akte in der Justiz bis 2026?

Das Datum steht im Gesetz. Das ist unser Maßstab.

Wir leben längst in einer digitalen Gesellschaft. Es ist daher unabdingbar, dass auch die Justiz die Potenziale der Digitalisierung nutzt, damit der Rechtsstaat der Lebenswirklichkeit seiner Bürgerinnen und Bürger entspricht. Mein klares Ziel ist eine moderne und bürgernahe Justiz, für die die Digitalisierung zweifellos eine Grundvoraussetzung darstellt. Ein zentrales Projekt in diesem Zusammenhang ist die flächendeckende Einführung und Nutzung der E-Akte. Damit führen wir die Justiz als dritte Gewalt in das digitale Zeitalter und stärken die digitale Souveränität der Justiz.

Wie wollen Sie die IT-Ausstattung in Berlin beschleunigen, haben wir ausreichend finanzielle Mittel dafür?

Ja, zum einen Mittel aus dem Sonderinvestitionsfonds, zum anderen habe ich weitere Mittel in erheblicher Höhe für den nächsten Doppelhaushalt vorgesehen. Ich bin davon überzeugt, dass hierdurch eine funktionale und zeitgemäße IT-Ausstattung möglich ist. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass die Bereitstellung von hochwertiger IT-Ausstattung eine fortlaufende Herausforderung ist.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat festgestellt, dass die R-Besoldung in den Jahren 2016 und 2017 verfassungswidrig zu niedrig war. Auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts haben Sie und Ihr Haus nicht reagiert. Ist Ihnen eine angemessene Bezahlung der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte und der Richterinnen und Richter nicht wichtig? Werden Sie sich künftig für eine angemessene Bezahlung einsetzen?

Als Justizsenatorin kommentiere ich den Inhalt von einzelnen Gerichtsentscheidungen grundsätzlich nicht.

Ich kann aber sagen: Gegenüber der zuständigen Senatsverwaltung für Finanzen setze ich mich für eine angemessene Bezahlung ein.

Berlin hatte die Absicht, die Altersgrenze für den Eintritt in die Pension anzuheben. Wie sind die aktuellen Pläne hierzu? Sorgen Sie für angemessene Übergangsfristen?

Die Frage, ob eine Anhebung des Ruhestandseintrittsalters notwendig ist, wird vom Senat geprüft. Sollte eine Erhöhung im Vergleich zu anderen Bundesländern erforderlich sein, werde ich mich im Interesse aller Beschäftigten in der Berliner Justiz für angemessene Übergangsfristen einsetzen. Beim Sicherheitsgipfel haben wir uns darauf geeinigt, dass für den Justizvollzug die Sonderaltersgrenzen auf dem bisherigen Niveau festgeschrieben werden.

Staatsanwältinnen und Staatsanwälte können freiwillig länger arbeiten, Richterinnen und Richter nicht, wofür es unserer Ansicht nach bis zur Besoldungsgruppen R3 keine wirkliche Rechtfertigung gibt. Was halten Sie mit Blick auf die Nachwuchsprobleme von der Idee, das freiwillige Hinausschieben des Pensionseintritts zu ermöglichen?

Ein solcher Vorschlag ist 2019 im Abgeordnetenhaus auf breite Ablehnung gestoßen. Deswegen plane ich aktuell nicht in diese Richtung. Die Regelung nach § 38 Abs. 2 S. 1 des Landesbeamtengesetzes, auf Richterinnen und Richter anzuwenden geht wegen der Unabhängigkeit der Gerichte wiederum nicht.

Ein anderes Thema: Das gemeinsame Justizprojekt der Länder Berlin und Brandenburg liegt nahezu im Sterben, die Richtergesetze unterscheiden sich schon deutlich. Ist das Projekt noch zu retten, was werden Sie in dieser Sache unternehmen?

Die Zusammenarbeit im gemeinsamen Justizraum von Berlin und Brandenburg ist meinem Eindruck nach lebendig! Wir teilen gemeinsame Fachobergerichte und arbeiten seit vielen Jahren sehr erfolgreich an der Aus- und Fortbildung des höheren Justizdienstes. Obwohl es Abweichungen in den Richtergesetzen beider Länder geben kann, streben wir eine Stärkung des gemeinsamen Justizraums an, indem wir im gemeinsamen Austausch miteinander stehen. Mir war es deshalb sehr wichtig, gleich nach meinem Amtsantritt in das Gespräch mit meiner Brandenburger Kollegin Ministerin Hoffmann zu gehen, mit der ich seitdem vertrauensvoll zusammenarbeite. Auch meine Staatssekretärin, Frau Uleer, und mein Staatssekretär, Herr Feuerberg, stehen in regelmäßigem Austausch mit der Staatssekretärin des Ministeriums der Justiz des Landes Brandenburg.

Im Richterwahlausschuss dominieren die Abgeordneten, nicht die Vertreter der Justiz. Mit Blick auf die Entwicklungen in Ungarn oder Polen: Wie stehen Sie zu einer Stärkung der Justiz durch Reduzierung des politischen Einflusses auf die Wahl von Richterinnen und Richtern?

Ich halte es für legitim und wichtig die Diskussion zu führen. Sie müssen aber auch sehen, dass die parlamentarischen Mitglieder im Richterwahlausschuss zu einer stärkeren demokratischen Legitimation und wohl auch Akzeptanz der Gewählten beitragen. Diese würde bei einer Umgestaltung zurückgehen. Die „perfekte“ Lösung gibt es wohl nicht.

In Berlin wurde die Errichtung eines zwölften Amtsgerichts diskutiert. Ist diese Idee vom Tisch oder die Umsetzung nur verschoben?

Die Errichtung eines zwölften Amtsgerichtes wurde Ende 2022 vom Senat aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen im Landeshaushalt infolge des Krieges in der Ukraine zurückgestellt. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Vorhaben in einem frühen Projektstadium. Das ist angesichts der rückläufigen Geschäftsentwicklung im Bereich der zivilen Amtsgerichte und auch des Amtsgerichts Lichtenberg auch weiterhin gut vertretbar.

Zu guter Letzt: Welche Botschaft an die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Richterinnen und Richter ist Ihnen wichtig?

In den vergangenen Wochen, Monaten vielleicht Jahren sind die Gefahren für unseren Rechtstaat präsenter geworden: Rechtsextremismus, Antisemitismus, Verfassungsfeinde – um ein paar Stichworte zu nennen. In den vergangenen Monaten habe ich viele Menschen in der Berliner Justiz kennengelernt, die engagierte und hochprofessionelle Arbeit für unseren Rechtsstaat leisten: Sei es bei den Gerichten, in den Justizvollzuganstalten, sei es bei den Notaren oder den Rechtsanwälten und den vielen weiteren Akteuren.

Ich ermutige Sie, weiterhin unerschütterlich an der Seite unseres Rechtsstaates zu stehen. Engagieren Sie sich weiterhin leidenschaftlich für unsere freiheitlich-demokratischen Werte und treten Sie den genannten Gefahren weiterhin mutig entgegen. Wir brauchen Sie!

Wir haben das Interview schriftlich geführt.

Verantwortlich: Dr. Stefan Schifferdecker.